31. August – Verdrängung

In den vielen Jahren meiner inneren Heilung habe ich vieles verdrängt. Das war eine Schutzmaßnahme, ein Überlebensmechanismus, eine Bewältigungsstrategie und bisweilen beinahe mein Verderben; Freund und Feind zugleich.

Als Kind bediente ich mich der Verdrängung, um mich und meine Familie zu schützen. Ich schütze mich davor, allzu schmerzhafte Dinge zu sehen, zu starke Empfindungen zu spüren. Die Verdrängung half mir, viele traumatische Situationen unbeschadet zu überstehen, wenn ich keine andere Möglichkeit für mein Überleben sah.

Der negative Aspekt dieser Verdrängung bestand darin, dass ich den Kontakt zu mir selbst und zu meinen Gefühlen verlor. Ich erlangte die Fähigkeit, an schlimmen Situationen beteiligt zu sein, ohne überhaupt zu wissen, dass ich Schmerzen litt. Ich war in der Lage, großen Schmerz und missbräuchliche Verhaltensweisen auszuhalten, ohne die leiseste Ahnung, dass das nicht normal sein könnte.

Ich lernte, mich an meinem eigenen Missbrauch zu beteiligen.

Die Verdrängung schütze mich vor Schmerz, machte mich aber auch blind für meine Gefühle und Bedürfnisse. Sie war wie eine warme Decke, die ich über mich breitete und unter der ich beinahe erstickte.

Irgendwann begann ich mich zu besinnen. Ich begann, mir meine Schmerzen, Gefühle und Verhaltensweisen allmählich bewusst zu machen. Ich begann, mich und die Welt so zu sehen, wie wir waren. Hätte man mir damals die Decke gewaltsam entrissen, hätte mich der Schock der Entblößung vernichtet, so sehr hatte ich meine Vergangenheit verdrängt. Ich musste mir die Einsichten, Erinnerungen, den Prozess der Bewusstmachung und der Heilung sehr behutsam aneignen.

Bei diesem Prozess kam mir das Leben zu Hilfe. Das Leben ist ein gütiger Lehrmeister. Im Verlauf meiner inneren Heilung ereigneten sich Dinge, kamen Menschen auf mich zu, die mir vor Augen führten, was ich immer noch verdrängte; die mir zu verstehen gaben, wo ein tieferes Eindringen in meine Vergangenheit erforderlich war, und die mir halfen, mit diesen Einblicken umzugehen.

Noch heute bediene ich mich der Verdrängung und überwinde sie – wenn nötig. Wenn die Stürme der Veränderungen losbrausen, vertraute Strukturen durcheinander bringen und mich auf das Neue vorbereiten, verkrieche ich mich eine Weile unter meiner warmen Decke. Manchmal verstecke ich mich kurzfristig darunter, wenn jemand, der mir sehr nah ist, ein Problem hat. Erinnerungen tauchen auf aus verdrängten Erfahrungen; Erinnerungen, die heraufgeholt, gefühlt und akzeptiert werden müssen, damit mein Heilungsprozess fortschreiten kann.

Manchmal schäme ich mich, weil es so lange dauert, bis ich mich zur Bejahung der Realität durchringe. Es ist mir peinlich, dass mir der Nebel der Verdrängung erneut die Sicht trübt.

Dann geschieht etwas, und ich erkenne, dass ich mich vorwärts bewege. Diese Erfahrung war nötig, hatte einen Bezug, war kein Fehler, sondern ein wichtiger Bestandteil meiner inneren Heilung.

Wir befinden uns auf einer aufregenden Reise. Aber ich begreife, dass ich mich gelegentlich in die Verdrängung flüchte, um Engpässe und schwierige Stellen überwinden zu können. Ich bin mir durchaus klar darüber, dass die Verdrängung mein Freund und zugleich mein Feind ist. Ich achte auf Warnzeichen: nebulöse, verwirrte Gefühle ... Trägheit ... zwanghaftes Verhalten ... Hektik ... wenn ich das vermeide, was mir hilft.

Ich respektiere wirklich unser aller Bedürfnis, die Verdrängung wie eine warme Decke zu benutzen, in die wir uns hüllen, wenn wir seelisch frieren. Es ist nicht meine Aufgabe, anderen Leuten ihre Decke zu entreißen oder andere zu beschämen, weil sie sich in ihre Decke hüllen. Das würde sie nur noch mehr frieren lassen und bewirken, dass sie sich enger in ihre Decke wickeln. Es wäre gefährlich, ihnen die schützende Decke wegzureißen. Die Menschen könnten an Unterkühlung sterben, so wie ich fast gestorben wäre.

Ich habe gelernt, dass ich denen, die sich in ihre Schutzdecke hüllen, am besten helfe, wenn ich ihnen das Gefühl der Wärme und Geborgenheit gebe. Je geborgener und sicherer sie sich fühlen, desto bereitwilliger trennen sie sich von ihrer Decke. Ich muss ihre Verdrängungen nicht unterstützen oder sie darin bestärken. Ich kann direkt sein. Wenn andere einen bestimmten Sachverhalt verdrängen und ihre Handlungsweisen mir schaden, muss ich nicht bei ihnen bleiben. Ich kann ihnen den Rücken kehren und mich um mein eigenes Wohlergehen kümmern. Wenn ich zu lange mit einem Menschen zusammen bin, der mir Schaden zufügt, werde ich unweigerlich meine Decke wieder hervorholen.

Ich fühle mich zu warmherzigen Menschen hingezogen. In Gesellschaft herzlicher Menschen brauche ich mich nicht in meine Decke zu hüllen.

Es ist mir ein Anliegen, eine warmherzige Atmosphäre zu schaffen, in der keine Decken gebraucht werden; und falls doch, dann nur für kurze Zeit. Ich vertraue darauf, dass Menschen zur Selbstbesinnung kommen und in ihrem Leben Fortschritte machen.

Hilf mir, Gott, dass ich mich vertrauensvoll jenem Prozess öffne, der mich von all dem heilt, was ich in der Vergangenheit verdrängt habe. Hilf mir, nach Bewusstheit und Bejahung zu streben; hilf mir aber auch, Güte und Mitgefühl zu empfinden für mich selbst und andere in Zeiten, da ich mich in Verdrängungen flüchte.